Text: Ein Garten für meinen Kirschbaum
Das war der erste Text, den ich für die online-Ausgabe der Berliner Morgenpost geschrieben habe. Garten, Bank und Kirschbaum habe ich inzwischen. Frau Hoffmann und der Dackel Fussel sind leider gestorben – aber der Rest stimmt immer noch.
Eine Brandenburgerin sucht Berlin und findet Pankow. Hier werden Bäume gepflanzt, und wer Bäume pflanzt, will bleiben.
Um es vorwegzunehmen: Ich bin gar keine Berlinerin. Das B auf meinem Nummernschild ist ein Zugeständnis an die Behörden. Keine Berlinerin bin ich seit über zehn Jahren. Friedrichshain, Mitte, Lichtenberg – ich habe mich so durchprobiert.
Es gab auch dort Menschen, die mir morgens Brötchen und abends Zigaretten verkauft haben. Kaum hatte ich mich an sie gewöhnt, schlossen sie ihren Laden und verließen den Kiez, die Stadt oder gleich das Land. Als ich nach einem mehrwöchigen Urlaub zurückkam, war der Fahrradladen eine Sparkasse. Mein Haus verfügte eines Tages über ein eigenes Nagelstudio, das kurz darauf wieder verschwand. Ein Bioladen zog ein und wieder aus. Der vegetarische Döner gegenüber war sicher sehr gut, aber nur für kurze Zeit. Verlässlichen Halt bot der Barmann hinter dem Tresen meines Stammlokals. Leider nur an drei Tagen in der Woche. Ich konnte plötzlich sehr gut verstehen, warum meine Friseurin lieber nach Irland zu ihrer Familie wollte.
Meine Nachbarn kannte ich nicht, wenn es gute Nachbarn waren. Die Namen der weniger guten Nachbarn habe ich von ihren Klingelschildern abgelesen. Morgens, schlaftrunken. Gute Nachbarn haben keine Tischkicker, keine Holzfußböden, oder wenigstens besitzen sie Teppiche. Ich bin eines Tages um 3:47 Uhr von der Party über mir aufgewacht und wusste: Ich bin zu alt für diese Gegend.
Inzwischen wohne ich schon fast zwei Jahre lang in Pankow. Große Veränderungen habe ich nicht bemerkt. Es gibt die üblichen Supermärkte. Die stellen gelegentlich ihre Regale um. Kalle Kiez, der kleine Laden um die Ecke, ist trotzdem noch da. Kaiser´s hat jetzt Club Mate. Die Steuerberaterin vorne an der Berliner Straße ist zwei Büros weiter nach rechts gezogen. Die Baustelle am U-Bahnhof Vinetastraße genießt mittlerweile Bestandsschutz.
Im Hausflur treffe ich Frau Hoffmann. Sie und ihr Mann wohnen in der Wohnung unter mir. Ich habe einen Holzfußboden, keinen Teppich, ein Kind und ein Bobbycar. Ob ich Tomaten möchte, fragt sie mich. Die sind aus ihrem Garten, es gibt dieses Jahr so viele. Der eigene Garten ist in Pankow, was im Prenzlauer Berg der Markenkinderwagen ist. Den braucht man hier, denn wer Bäume pflanzt, will bleiben. Wer Bäume pflanzt, bietet dem Alter die Stirn. Frau Hoffmann packt mir auch noch Schmorgurken ein, und für das Kind Schokolade. Das Kind freut sich. Neben dem Herd steht ein flacher Korb, in dem ein Dackel schläft. Das Kind sagt „WauWau“ und freut sich noch mehr. Der Dackel heißt Fussel. Fussel war ein Jagdhund, wenn man dem Geweih im Flur glauben darf. Jetzt ist er ein Schlafhund. Er hat sich das verdient.
Das Kind zieht mich raus in den Hof. Der Pankower bepflanzt grundsätzlich alles, deswegen ist es ein sehr schöner Hof. Hohe, alte Obstbäume stehen dort. Eine Birke, eine Kastanie und reichlich Schachtelhalm. Kleine Parzellen sind abgeteilt und mit Hecken umsäumt. Weiter hinten huscht Atze, das Eichhörnchen über den Rasen und verschwindet in einer Baumkrone.
„Da!“ ruft begeistert das Kind, das noch nicht so viele Wörter kennt, und zeigt auf einen Hauseingang. Die Tür geht auf, ein kleines Mädchen hüpft heraus. An guten Tagen spielen die beiden zusammen, an schlechten bewerfen sie sich mit Sand. Heute scheint ein guter Tag zu sein. Zwei Jungen gesellen sich dazu. Die sind schon groß, die dürfen schon mit Laserschwertern spielen und bauen sich ein Raumschiff. Ein Mädchen bringt seinen Roller mit, ein anderes holt sein Fahrrad. Auf dem Wäscheplatz flattern die Trikots einer Fußballmannschaft.
Abends hat jemand den Grill angeworfen. Ich stelle einen Salat dazu. Frisch gebackenes Brot ist auch da. „Wo das Bier steht, weißt Du ja“, sagt mein Hausmeister. Hat er Recht, weiß ich. In seinem Keller nämlich. Gelegentlich kommt eines der Kinder vorbei und macht Ketchup auf das, was es gerade in Händen hält. Ich lege die Füße hoch und sehe mir den Himmel an.
Pankow lebt ein Tempo, mit dem ich sehr gut zurecht komme. Pankow ist das erste Mal, dass ich ja sage zu Berlin. Eigentlich fehlt mir nur noch ein eigener Garten für meinen Kirschbaum. Darunter stelle ich eine Bank und schnitze ein Herz rein.
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